Sitzung vom 19. Dezember 2019

Erlass der Regierung zur übergangsweisen Regelung des Verfahrens zur Erlangung einer Vorabgenehmigung oder Zustimmung zwecks Kostenübernahme oder Kostenbeteiligung für eine Langzeitrehabilitation im Ausland

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in zweiter und letzter Lesung den Erlass zur übergangsweisen Regelung des Verfahrens zur Erlangung einer Vorabgenehmigung oder Zustimmung zwecks Kostenübernahme oder Kostenbeteiligung für eine Langzeitrehabilitation im Ausland.

Der Vize-Ministerpräsident, Minister für Gesundheit und Soziales, Raumordnung und Wohnungswesen wird mit der Durchführung des vorliegenden Beschlusses beauftragt.

2. Erläuterungen:

Der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde im Rahmen der 6. Staatsreform die Zuständigkeit für die Langzeitrehabilitation vom Föderalstaat übertragen. Teil dieser Kompetenzübertragung sind zum einen Konventionen, die zwischen dem Landesinstitut für Invaliden- und Krankenversicherung (LIKIV) und den innerbelgischen Einrichtungen geschlossen wurden und zum anderen die Langzeitrehabilitation im Ausland.

An die Deutschsprachige Gemeinschaft wurde nur eine einzige innerbelgische Konvention übertragen, und zwar die des Kindertherapiezentrums (Kitz). Die Übernahme dieser Kompetenz wurde bereits zum 1. Januar 2018 erfolgreich abgeschlossen, mit der Integration des Kitz und des SPZ in das neugegründete BTZ.

Die Übertragung der Langzeitrehabilitation im Ausland an die Deutschsprachige Gemeinschaft ist Gegenstand dieses Erlassentwurfes.

Unter Langzeitrehabilitation versteht man „die multidisziplinäre, nicht-akute oder postakute Pflege, unabhängig davon, in welcher Einrichtung diese Pflege erbracht wird, und zwar im Rahmen der Interaktion zwischen Eltern und Kindern, im Rahmen von psychischen, sensorischen, süchtig machenden Störungen, von Stimm- und Sprachstörungen, im Rahmen von Zerebralparese, im Zusammenhang mit Kindern mit Atemwegs- und neurologischen Erkrankungen, sowie die nicht-akute oder postakute Pflege, die multidisziplinär bei motorischen Erkrankungen außerhalb von Allgemein- und Universitätskliniken und Krankenhäusern, in denen gleichzeitig chirurgische und medizinische Leistungen erbracht werden, ausschließlich für Kinder oder zur Behandlung von Tumoren erfolgt“, laut Artikel 5 §1 I Absatz 1 Nr. 5 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen und die spezifizierte Liste der Behandlungen die in Anhang 1 des vorliegenden Vorentwurfs des Erlasses festgelegt wird.

Vorliegender Erlassentwurf legt sowohl den künftigen Interventionsperimeter der Gemeinschaft sowie die für die Antragstellung vorgesehenen Prozeduren zwecks Begutachtung der Anträge fest. In diesem Rahmen ist es vorgesehen, dass Fachärzte eine Begutachtung der jeweiligen Anträge durchführen. Auch wurden Bestimmungen zum Schutz der persönlichen und medizinischen Angaben der Antragsteller eingefügt.

Der Erlass soll zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. 

Entsprechend europäischem Sozialversicherungsrecht, nämlich der Verordnung (EG) 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit einerseits  und der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung wurden verschiedene Verfahren definiert.

Prozedur mit Vorabgenehmigung (entsprechend der Verordnung 883/2004)

Mittels eines digitalen Verfahrens oder Papierformularen kann ein Bürger einen Antrag einreichen. Dieser beinhaltet auch einen Facharztbericht und einen Behandlungsplan der ausländischen Rehabilitationseinrichtung, inklusive Kostenvoranschlag.

Nach administrativer Prüfung erfolgt eine ärztliche Begutachtung durch einen von der Gemeinschaft beauftragten Facharzt.

Im Anschluss wird eine Zu- oder Absage erstellt. Dem Schreiben wird im Falle einer Zusage ein S2-Anspruchsschein beigelegt.

Der Bürger hat somit Anrecht auf eine Kostenübernahme der Rehabilitationsleistung, so wie diese in dem Land vorgesehen ist, in dem er die Leistung in Anspruch nimmt. Das bedeutet er zahlt auch nur die in diesem Land vorgesehene Eigenbeteiligung.

Die Deutschsprachige Gemeinschaft rechnet über das Landesinstitut für Kranken- und Invalidenversicherung (Likiv) die Kosten mit dem ausländischen Versicherungsträger ab. 

Prozedur mit Kostenbeteiligung nach Inanspruchnahme der Leistung (entsprechend Patientenrichtlinie 2011/24)

Mittels eines digitalen Verfahrens oder Papierformularen kann ein Bürger einen Antrag einreichen. Dieser beinhaltet auch einen Facharztbericht und einem Behandlungsplan der ausländischen Rehabilitationseinrichtung, inklusive Rechnung der Leistung und Zahlungsbeleg. Letztere sind einzureichen im Fall eines Antrages nach Inanspruchnahme der Langzeitrehabilitation.  

Im Gegensatz zum S2-Verfahren kann der Bürger hier entweder vor Beginn der Behandlung eine Zustimmung zur Kostenbeteiligung beantragen oder er tut dies erst im Nachhinein.

Nach administrativer Prüfung erfolgt eine ärztliche Begutachtung durch einen von der Gemeinschaft beauftragten Facharzt 

Im Anschluss wird eine Zu- oder Absage erstellt.

In diesem Fall wird dem Antragsstellereine Kostenbeteiligung gewährt, aufgrund der Tarife, die im Erlass, Anhang 2 festgelegt wurden. Der Bürger muss folglich in Vorkasse gehen und erhält die Beteiligung, die niemals höher als die tatsächlichen Kosten ausfallen kann, im Nachhinein zurück.

Prozedur mit Kostenbeteiligung für außergewöhnliche Behandlungen

Mittels eines digitalen Verfahrens oder Papierformularen kann auch hier ein Bürger einen Antrag einreichen. Dieser beinhaltet auch einen Facharztbericht und einem Behandlungsplan der ausländischen Rehabilitationseinrichtung, inklusive Kostenvoranschlag.

Eine außergewöhnliche Behandlung muss folgende Kriterien erfüllen:

  • Es handelt sich um eine Behandlung, die in die Definition der Langzeitrehabilitation laut dem Sondergesetzt fällt.

  • Es handelt sich um eine seltene Indikation, eine seltene Erkrankung oder um eine Erkrankung die ggf. eine kontinuierliche komplexe Pflege erfordert.

  • Die Behandlung wird in der EU, in Island, in Liechtenstein, in Norwegen und in der Schweiz erbracht.

  • Die Behandlung ist teuer.

  • Die Behandlung ist evidenzbasiert.

  • Es gibt keine akzeptable diagnostische oder therapeutische Alternative in Ostbelgien.

  • Die Behandlung wird von einem Facharzt empfohlen und verschrieben.

Nach administrativer Prüfung erfolgt eine ärztliche Begutachtung durch einen von der Gemeinschaft beauftragten Facharzt 

Im Anschluss wird eine Zu- oder Absage erstellt.

In diesem Fall wird dem Antragssteller eine Kostenbeteiligung gewährt.

Prozedur zur Kostenbeteiligung an Fahrtkosten

Der Bürger kann einen Antrag zur Kostenbeteiligung beantragen nach Inanspruchnahme der Langzeitrehabilitation stellen. Bedingung hierfür ist eine monatliche Strecke von mindestens 300 km.

In diesem Fall wird dem Antragssteller eine Kostenbeteiligung gewährt, aufgrund der Tarife, die im Erlass festgelegt wurden.

BEMERKUNGEN ZUM GUTACHTEN DER DATENSCHUTZBEHÖRDE

Die Datenschutzbehörde hat am 30. Oktober 2019 das Gutachten SA2/CO-A-2019/163/VM abgegeben.

Folgende Anmerkungen hielt sie zum vorliegenden Erlassentwurf fest:

Rechtsgrundlage:

Die Datenschutzkommission merkt an, dass keine gesetzliche Basis besteht für den Erlass.

Aus diesem Grund wurde wie bereits oben erwähnt mit Hilfe des Programmdekretes eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Die neuen Artikel 77terdecies und 77quaterdecies des vorhin erwähnten koordinierten Gesetzes vom 14. Juni 1994 sollten die nötigen Ermächtigungen an die Regierung vorsehen, um die datenschutzrechtlichen Vorgaben und Einschränkungen auf Erlassebene festzulegen. Gemeinsam gelesen mit den neuen Artikeln 77decies und 77duodecies desselben Gesetzes sollte in Bezug auf die Rechtsgrundlage allen Anforderungen der Datenschutzbehörde genüge getan sein.

Zielstellung:

Die Datenschutzbehörde ist grundsätzlich der Meinung, dass die im Erlass beschriebene Datenverarbeitung gemäß Artikel 5 (1) Buchstabe b) der Datenschutzgrundverordnung für „festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke“ erfolgt. Lediglich in Bezug auf die Erstellung von Statistiken gab es einige Vorbehalte.

Aufgrund dieser Vorbehalte wurden die Artikel 41 und 42, die die Weitergabe an Dritte und die Erstellung von Statistiken behandeln, komplett überarbeitet und neugefasst. Nun ist sehr deutlich, welche personenbezogenen und nicht-personenbezogenen Daten aus welchen Gründen an Dritte weitergeleitet werden und bei wem es sich um diese Dritten handelt. Zudem wurde verdeutlicht, dass bei der Erstellung von Statistiken ausschließlich nicht-personenbezogene Daten verwendet werden.

Verhältnismäßigkeit:

Die Datenschutzbehörde ist der Ansicht, dass der Erlass im Allgemeinen die Verhältnismäßigkeit einhält. Sie weist aber nochmals darauf hin, dass stets die kleinstmögliche Menge an Daten erhoben werden soll, und dann auch nur solche Daten, die notwendig sind zur Bearbeitung der Anträge.

Die Datenschutzbehörde verlangte mehr Informationen darüber, warum die Staatsangehörigkeit und die Angabe, ob jemand unter einer ansteckenden oder multiresistenten Krankheit leidet, verarbeitet werden müssen.

In Bezug auf die Staatsangehörigkeit wird die Verarbeitung dadurch gerechtfertigt, dass die ausländischen Einrichtungen diese Information verlangen.

In Bezug auf die Bestätigung, dass der Antragsteller nicht von einer ansteckenden oder multiresistenten Ansteckung leidet dadurch gerechtfertigt, dass die ausländische Einrichtung die Person ansonsten nicht aufnimmt. Auch wird die Information nicht als solche übermittelt, sondern nur die S2-Bescheinigung. Durch die Tatsache, dass wir diese Bescheinigung ausstellen, bestätigt die Verwaltung, dass keine solche Infektion vorliegt.

Aufbewahrungsfristen:

Die Datenschutzbehörde verweist darauf, dass es wichtig ist, dass der kleinstmögliche Zeitraum zur Aufbewahrung der Daten berücksichtigt wird.

Sie nimmt die Frist von 15 Jahren nach Erhalt des Antrags zur Kenntnis.

Für die Verarbeitung Verantwortlicher:

Die Behörde nimmt zur Kenntnis, dass die Regierung als Verarbeitungsverantwortliche bestimmt wird.

Sicherheitsmaßnahmen:

Die Datenschutzbehörde nimmt zur Kenntnis, dass die von ihr ausgearbeiteten Empfehlungen in Bezug auf die Sicherheitsmaßnahmen in den Erlass eingepflegt wurden, aber dass natürlich auch darauf geachtet werden müsse, dass ihnen dann auch tatsächlich nachgelebt werde.

BEMERKUNGEN ZUM GUTACHTEN DES STAATSRATES

Der Staatsrat hat sein Gutachten 66.527/1 am 26. September 2019 abgegeben. Das Gutachten war Gegenstand folgender Bemerkungen:

1. Zuständigkeit:

Der Staatsrat ist der Ansicht, dass die im Erlass beschriebenen Langzeitrehabilitationen in den Zuständigkeitsbereich der Deutschsprachigen Gemeinschaft fallen und die Vorgehensweise, diese im Anhang zu beschreiben, daher unproblematisch ist.

Der Erlass sieht ähnlich wie in Flandern jedoch auch eine Beteiligung von Kosten für eine außergewöhnliche Behandlung vor. Der Staatsrat empfahl, zu präzisieren, dass es sich dabei auch um Behandlungen handeln muss, die in die Definition der Langzeitrehabilitation laut dem Sondergesetz zur Sechsten Staatsreform fallen. Folglich wurde die Definition aus den Parlamentsdokumenten zum Sondergesetz in Artikel 8 eingefügt.

2. Rechtsgrundlage:

Der Staatsrat merkt an, dass die in der Präambel des Erlasses angeführten Artikel des koordinierten Gesetzes vom 14. Juli 1994 nicht als gesetzliche Grundlage ausreichen, um die entworfenen Regelungen zu verabschieden.

Daher wurden über das Programmdekret 2019 die Artikel 77novies bis 77quaterdecies in das koordinierte Gesetz eingefügt. Eine entsprechende, ausreichende Rechtsgrundlage sollte somit vorhanden sein.

Allerdings hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sich der Staatsrat sich nicht zu den eigentlichen Artikeln äußert und somit im engsten Sinn kein Staatsratsgutachten zum Erlass vorliegt. Theoretisch müsste daher nach Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlagen der Erlass erneut vorgelegt werden. Allerdings müssen ab dem 1. Januar 2020 bereits die ersten Anträge durch die Deutschsprachige Gemeinschaft bearbeitet werden. Dafür ist eine wirksame Rechtsgrundlage nötig, die durch den Erlass geschaffen werden soll. Es ist daher zeitlich nicht möglich, ein erneutes Gutachten des Staatsrates abzuwarten, da         ansonsten Entscheidungen ohne Rechtsgrundlage getroffen werden müssten. Dies kann der Rechtssicherheit nicht zuträglich sein. Daher wird der Erlass ohne neues Gutachten des Staatsrates verabschiedet. Ein entsprechender Rechtfertigungsgrund wurde in die Präambel des Erlasses eingefügt.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Der tatsächliche Bedarf ostbelgischer Bürger an Langzeitrehabilitation und die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen sind nur schwer zu eruieren.  Über belastbares Zahlenmaterial verfügen weder das LIKIV noch die Krankenkassen.

Es wurden im Rahmen der 6. Staatsreform keine spezifischen Mittel an die Deutschsprachige Gemeinschaft übertragen, mit Hilfe derer der finanzielle Rahmen definiert werden könnte.

Mittels einer Umfrage bei deutschen Dienstleistern hat das Ministerium einen Schätzwert für Langzeitrehabilitation von rund 600.000€ ermittelt. Dieser setzte sich in der Hauptsache aus neurologischer Rehabilitation und die Rehabilitation bei Suchtkranken im stationären Bereich zusammen.

Aus der Beobachtung der Monate Mai bis November 2019 konnte festgestellt werden, dass 31 Anfragen bearbeitet wurden. 14 Anfragen betreffen den Bereich der Psychosomatik, 11 Anfragen betreffen den Bereich Sucht, eine Anfrage betrifft den Bereich der Neurologie, 3 Anfragen betreffen den Bereich der Hörschädigung, eine Anfrage betrifft eine Mutter-Kind-Kur (die aber eigentlich nicht erstattungsfähig in Belgien ist), zwei Anfragen betreffen akutstationäre Psychiatrieaufnahmen (die eigentlich auch vom Föderalstaat erstattet werden müssen). Bezüglich der letzten drei Akten sollen nochmal Gespräche mit dem Föderalstaat geführt werden zur Zuständigkeit.

Aktuell fallen hierdurch Kosten in Höhe von 229.087,40€ an.

Die Kosten werden über die Haushaltsartikel 50.16 34.00 für die Kostenbeteiligung und über 42.20 für die Kostenübernahme gebucht.

Die Fachärzte werden pro Stunde vergütet nach LIKIV-Tarif (91,24 €), Die diesbezüglichen Kosten werden über den Haushaltsartikel 5016.12.11 vergütet, schätzungsweise müssen dafür jährlich ca. 5.000€ vorgesehen werden.

4. Gutachten:

Das Gutachten der Datenschutzkommission liegt vor.

Das Gutachten des Staatsrates liegt vor.

5. Rechtsgrundlage:

  • Sondergesetz vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, Artikel 20;
  • Gesetz vom 31. Dezember 1983 über die institutionellen Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft, Artikel 7;
  • Koordiniertes Gesetz vom 14. Juli 1994 über die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung, Artikel 77decies Absatz 2, Artikel 77terdecies Absatz 2, und Artikel 77quaterdecies;
  • Verordnung (EG) 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit;
  • Verordnung (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit