Sitzung vom 11. Oktober 2018

Entwurf eines Dekretes über die Angebote für Senioren und Personen mit Unterstützungsbedarf sowie über die Palliativpflege

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in dritter und letzter Lesung den Entwurf eines Dekretes über die Angebote für Senioren und Personen mit Unterstützungsbedarf und über die Palliativpflege.

Der Minister für Familie, Gesundheit und Soziales wird beauftragt, den Entwurf im Parlament zu hinterlegen.

2. Erläuterungen:

Im Rahmen der sechsten Staatsreform wurden der Deutschsprachigen Gemeinschaft unter anderem die Zuständigkeiten der Finanzierung und der Normen der Alten- und Pflegewohnheime, der Preiskontrolle für den Sektor der Aufnahmeeinrichtungen für Senioren, sowie der Palliativpflege übertragen.

Durch die Kompetenzübertragung hat die Deutschsprachige Gemeinschaft die Möglichkeit, den gesamten Seniorenbereich von der häuslichen Hilfe über die teilstationären und die stationären Angebote eigenständig zu gestalten. Daraus ist die Notwendigkeit entstanden, ein kohärentes Regelwerk zu schreiben, welches die bestehenden Gesetzestexte vereint und durch neue Angebote und Finanzierungsgrundlagen der demografischen Veränderung gerecht wird. Auch wird dem Lebensende und dem Sterben in Würde eine besondere Bedeutung zuteil.

Zentral im Dekretentwurf sind die Bedarfe der Senioren und der Personen mit Unterstützungsbedarf und deren Rechte. Dies wird ein Umdenken der Träger mit sich bringen, die einerseits ihre Angebotspalette erweitern können und anderseits verstärkt in Netzwerken zusammenarbeiten werden müssen. Wenn es auch der Wunsch vieler Senioren ist, so lange wie möglich zuhause zu leben, wird durch die Änderungen des Dekretentwurfs wohnortsnah ein ausreichendes Angebot an Dienstleistungen zur Verfügung gestellt, ob sie nun häuslich oder eben auch teilstationär, stationär oder zur Entlastung der Angehörigen beitragen. Der Senior soll je nach Bedarf, Pflegebedürftigkeit und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der Deutschsprachigen Gemeinschaft, das bestmögliche Angebot wahrnehmen können.

Ausgehend von einem immer wieder thematisiertem Bedarf, wurde ein neues zusätzliches  Angebot im Dekretentwurf aufgenommen, welches sich an Personen mit Unterstützungsbedarf mit neurologischen Schädigungen richtet. Diese Wohnstruktur entspricht den Vorgaben der Wohn- und Pflegezentren für Senioren beinhaltet aber immer auch Kurzaufenthalte und Tagespflege mit Schwerpunkt Rehabilitation und Nachtpflege.

Eine weitere Änderung im Dekretentwurf betrifft die maximale Kapazität von 150 Plätzen eines Wohn -und Pflegezentrums für Senioren, die unter gewissen Bedingungen um maximal 30 Plätze erhöht werden kann. Wesentliche Bedingungen sind das zusätzliche Anbieten von neuen Wohnformen und eines sozialen Treffpunktes in der betreffenden Wohnhilfezone. Der Träger der Angebote muss ebenfalls den Senioren der Wohnhilfezone eine Fahrgelegenheit bieten.

Die bestehenden Vorgaben der Programmierung, der Genehmigung und der freiwilligen Anerkennung wurden auf die Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsrichtlinie geprüft und entsprechend angepasst.

Die Dienste der häuslichen Unterstützung werden, wie bisher, anhand von Pauschalen oder Stundenpaketen finanziert.

Für die Wohn- und Pflegezentren für Senioren (WPZS), ehemals Alten- und Pflegewohnheime, wird eine ganz neue vereinfachte Finanzierungsgrundlage geschaffen.

Haushaltstechnisch wird der Zuschuss für jeden Standort ausgehend von 2 Pflegekategorien und zwei entsprechenden pauschalen Tagespreisen sowie einem zusätzlichen pauschalen Tagespreis für die Kurzaufenthalte, der Anzahl Plätze für die unterschiedlichen Pflegekategorien und der Belegung errechnet. Hinzu kommen ein personalbezogener Zuschuss und ein Zuschuss für die Mobilitätshilfen. Um den Herausforderungen des demografischen Wandels gerecht zu werden, wurde mit den Wohn- und Pflegezentren für Senioren (WPZS) der Prozentsatz der Anzahl pflegebedürftiger Bewohner, mittels einer Übergangsfrist von 10 Jahren, in allen Einrichtungen auf 82 % angehoben. 5% der Plätze werden für Kurzaufenthalte zur Verfügung gestellt, die restlichen 13% werden für geringpflegebedürftige Personen vorgesehen.

Die Schaffung von innovativen Angeboten bleibt, wie bisher, über ein Pilotprojekt möglich.

Die kommunalen Gremien für Senioreninteressen und der die Regierung beratende Beirat bleiben bestehen.

Zur Vorbereitung des vorliegenden Dekretentwurfs wurden zahlreiche Gespräche mit allen wichtigen Akteuren geführt, insbesondere vor dem Hintergrund der wesentlichen Änderungen für die WPZS, mit Vertretern des Netzwerkes der Altenheimdirektoren (NAH), der Familien- und Seniorenhilfe und dem Palliativpflegeverband. Den Bemerkungen der AG Staatsreform wurde auch Rechnung getragen. 

3. Finanzielle Auswirkungen:

Vorliegendes Dekret hat folgende finanzielle Auswirkungen zur Folge:

Bis zum 31. Dezember 2018 wird im Rahmen der Übergangszeit in Folge der 6. Staatsreform die Finanzierung der Wohn- und Pflegezentren laut einem komplexen, bestehenden System vorgenommen. Es werden jährlich circa 18,5 Millionen € für die Bezuschussung der Wohn- und Pflegezentren für Senioren, der Kurzaufenthalte und der Tagespflege durch das LIKIV über den Haushaltposten OB 50 PR 17 ZW 34.32 ausgegeben. Ab Inkrafttreten des vorliegenden Dekretentwurfs beginnt eine Übergangsperiode von 10 Jahren. Den WPZS wurde zugesagt, dass sie ab diesem Datum eine gleichbleibende Bezuschussung erhalten würden. Anhand von Geschäftsführungsverträgen werden die zu erreichenden neuen Vorgaben progressiv eingeführt.

In 2018 wurden für die Dienste der häuslichen Hilfe weiterhin rund 3,1 Millionen € jährlich über den Hausposten OB 50 PR 17 ZW 33.03 ausgegeben.

Pilotprojekte wurden in 2018 in den Haushaltsposten OB 50 PR 17 ZW 33.04 und 43.00 weiterhin jährlich vorgesehen.

Auch für Tätigkeiten im Bereich der Senioren wurden weiterhin rund 41.000 € über die Haushaltsposten OB 50 PR 17 ZW 33.02 und 43.01 ausgegeben.

Die Unterstützung von Ausbildungs- und Begleitmaßnahmen für den ehrenamtlichen Einsatz wird mit circa 117.000€ über den Haushaltsposten OB 50 PR 17 ZW 33.01 bezuschusst.

Die Zuschüsse für Mobilitätshilfen an die WPZS werden ebenfalls weiterhin mit circa 65.000€ über die Haushaltsposten OB 50 PR 17 ZW 51.21, 51.22 und 52.20 bezuschusst.

Für 2019 werden in den einzelnen Posten ähnliche Beträge vorgesehen mit den von der Regierung festgelegten Erhöhungen. Das Inkrafttreten des Dekretes bleibt also für diesen Bereich vorerst kostenneutral.

Betrachtet man die Gesamtanzahl anerkannter Plätze der Wohn- und Pflegezentren für Senioren in Ostbelgien, haben wir momentan einen Proporz von 60% pflegebedürftiger Bewohner zu 40% geringpflegebedürftiger Bewohner. Mit dem Erreichen in 10 Jahren eines Anteils von 82% pflegebedürftiger Bewohner in den WPZS, werden die Kosten allerdings zunehmen. Die Tagespauschale für diese Pflegekategorie wird höher liegen als die für geringpflegebedürftige Senioren.

Die Veränderung des Pflegeprofils der Bewohner der Wohn- und Pflegezentren für Senioren hat auch weitere nicht zum jetzigen Zeitpunkt bezifferbare Konsequenzen: Die alternativen Wohnformen und die Angebote der häuslichen Unterstützung müssen entsprechend erweitert werden, um die Verringerung der Anzahl  geringpflegebedürftigen Senioren in den WPZS aufzufangen und die Entwicklungen des demografischen Wandels zu berücksichtigen. Im Dekretvorentwurf sind auch Angebote beschrieben, die es bisher in dieser Form noch nicht gibt und mit Realisierung neue Kosten verursachen können.

4. Gutachten

Das Gutachten des Staatsrates Nr. 63.903/3 vom 21. September 2018 liegt vor.

In seinem Gutachten geht der Staatsrat, neben den einzelnen artikelbezogenen Bemerkungen, insbesondere auf die Themen Staatsbeihilfen, Dienstleistungsrichtlinie, Datenschutz und Motivationspflicht ein.

1. staatliche Beihilfen

Bezüglich der im Rahmen des Dekretentwurfs erteilten Zuschüssen weist der Staatsrat darauf hin, dass es sich um Staatsbeihilfen handeln könnte.

Da die Auszahlung der Zuschüsse erst im Rahmen der Ausführungserlasse weiter konkretisiert wird, wird erforderlichenfalls erst zu diesem Zeitpunkt zu prüfen sein, inwieweit die einschlägigen Vorgaben des europäischen Rechts anwendbar sind.

2. Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsrichtlinie

Die in der Begründung des Dekretentwurfs bestehende Analyse in Bezug auf die Ausnahmeregelung der Gesundheitsdienstleistungen wurde um eine Analyse über die Ausnahmeregelung der nicht-wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erweitert. Diese Analyse hat zu keinen Änderungen an der Strukturierung des Dekretentwurfs und am Umfang der Programmierungs- und Genehmigungspflicht für einzelne Angebote geführt.

Der Staatsrat weist jedoch auch darauf hin, dass einzelne Angebote unter die Ausnahmeregelung der sozialen Dienstleistung gemäß Artikel 2 Absatz Buchstabe j) der Dienstleistungsrichtlinie fallen können. Eine vorherige Analyse hat allerdings ergeben, dass dieses Ausschlusskriterium allein und für sich genommen nicht ausreicht, um Senioren und Personen mit Unterstützungsbedarf ausreichend zu schützen. So könnten zwar alle im Dekretentwurf vorgesehenen Angebote inhaltlich über ihren Aufgabenbereich als soziale Dienstleistung definiert werden. In der Tat handelt es sich bei allen Dienstleistungen um „Tätigkeiten, die entscheidend dazu beitragen, das Grundrecht auf Schutz der Würde und Integrität des Menschen zu garantieren, und die Ausfluss der Grundsätze des sozialen Zusammenhalts sind.[1

Allerdings ist noch eine zweite Bedingung zu erfüllen, und zwar, dass die Dienstleistung vom Staat selbst, von einer vom Staat anerkannten gemeinnützigen Einrichtung oder von einem durch den Staat beauftragten privaten Dienstleister erbracht werden muss. Was die privaten Dienstleister betrifft, so muss diese Beauftragung durch einen Rechtsakt, durch den der Dienstleister mit der Erbringung der Dienstleistung ausdrücklich verpflichtet wird, erfolgen. Das Vorhandsein einer Genehmigungs- und Zuschussregelung ist dafür nicht ausreichend.[2]

Insofern private Dienstleister die im Dekretentwurf vorgesehenen Angebote erbringen, liegt auch im Fall einer Programmierungs- oder Genehmigungsregelung bzw. eines Zuschusssystems kein Beauftragungsakt vor. Das entsprechende Angebot erfüllt folglich nicht alle Bedingungen einer „sozialen Dienstleistung.“

Aus dem Grund beschränkte sich die in der allgemeinen Begründung des Dekretentwurfs aufgestellte Analyse der Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsrichtlinie auf die Ausschlusskriterien der „nicht-wirtschaftlichen Dienstleistung von allgemeinem Interesse“ und der „Gesundheitsdienstleistung.“

3. Datenschutz

Auf Vorschlag der Textautoren hat der Staatsrat zu einigen Korrekturen an den Artikeln 77 und 79 geraten, die allesamt übernommen wurden.

Zudem wurde ein Artikel eingefügt, der die Regierung ermächtigt, weitere Vorgaben in Bezug auf Sicherheitsmaßnahmen zu präzisieren.

4. Motivationspflicht

Die Artikel 14, 16, 17, 23, 24, 32, 34 und 45 des Dekretvorentwurfs sahen eine besondere Motivationspflicht in Ausnahmefällen vor. Aus Sicht des Staatsrates war diese Vorgehensweise überflüssig, da die Motivationspflicht aus dem Gesetz vom 29. Juli 1991 über die ausdrückliche Begründung der Verwaltungsakte  hervorgeht. Insofern es sich um eine verordnungsrechtliche Zuständigkeit handelt, sei diese Vorgehensweise unüblich und unnötig schwerfällig.

Aus diesen Gründen wurde der Bezug zur „besonderen Begründung“ aus dem Dekretentwurf entfernt.

5. Bemerkungen zu den einzelnen Artikeln

In Artikel 27 wurde die Delegation an die Regierung verdeutlicht.

Artikel 28 wurde dahingehend präzisiert, dass nur ein Palliativpflegeverband im deutschen Sprachgebiet programmiert werden kann.

In Artikel 31 wurde die Angabe der Dauer der Betriebsgenehmigung herausgenommen, da dies bereits detaillierter in Artikel 33 geregelt wird.

In Artikel 33 wurde präzisiert, wer feststellt, dass die Angaben für den Erhalt der Genehmigung nicht mehr korrekt sind. Außerdem wurde der Kommentar zu diesem Artikel erweitert, um nähergehende Erläuterungen zur Wortfolge „zusätzliches Unterstützungsangebot“ bereitzustellen.

Das in Artikel 44 vorgesehene Anerkennungsverfahren wurde auf Raten des Staatsrates detailliert ausformuliert, da der im Dekretvorentwurf vorgesehene Verweis auf Artikel 33 nicht ausreichend war, um das Verfahren festzulegen.

Ein neuer Artikel 49 wurde eingefügt, um den Anwendungsbereich von Kapitel 4 Abschnitt 2 festzulegen.

In Artikel 57 wurden einige Elemente, die für die Zahlung der Funktionspauschale nötig sind, eingefügt. Außerdem wurden im Kommentar Erläuterungen über die Delegation an die Regierung zur Festlegung weiterer Zuschusskategorien hinzugefügt.

Der Kommentar zu Artikel 62 erläutert nun, dass die Vorgaben des Kapitels 2 auch im Falle eines Geschäftsführungsvertrags anwendbar bleiben.

Für die in Artikel 82 vorgesehene Beschwerdestelle wurde die Delegation an die Regierung verdeutlicht.

Da das Dekret vom 4. Juni 2007 über die Wohn-, Begleit- und Pflegestrukturen für Senioren, die Seniorenresidenzen und über die psychiatrischen Pflegewohnheime weiter gelten soll, wurden die entsprechenden Aufhebungs- und Übergangsartikel überarbeitet.

5. Rechtsgrundlage:

Sondergesetz vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen Artikel 5 §1 römisch I Nummer 3 und Artikel 5 §1 römisch II Nummer 5.

Gesetz vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft, Artikel 4§2.

 


[1] Rechtssache des EuGH vom 11. Juli 2013, C-57-12 (Fermabel), Randnummer 43

[2] Ibid., Randnummern  47-49