Sitzung vom 7. Mai 2020

Entwurf eines Dekrets zur Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Verabschiedung oder Abänderung von Berufsreglementierungen

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in zweiter und letzter Lesung den Entwurf Dekrets zur Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Verabschiedung oder Abänderung von Berufsreglementierungen.

Der Vize-Ministerpräsident, Minister für Gesundheit und Soziales, Raumordnung und Wohnungswesen und der Minister für Bildung, Forschung und Erziehung werden mit der Übermittlung des Entwurfes an das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft beauftragt.

2. Erläuterungen:

Das Europäische Parlament hat am 28. Juni 2018 die Richtlinie 2018/958 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (hiernach als „Richtlinie 2018/958“ bezeichnet) verabschiedet.

Die Ausübung reglementierter Berufe ist vom Besitz bestimmter Ausbildungsnachweise abhängig. Daher müssen im Ausland erlangte Berufsqualifikationen anerkannt werden, bevor diese reglementierten Berufstätigkeiten in der Deutschsprachigen Gemeinschaft ausgeübt werden dürfen.

Die EU-Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen regelt diese berufliche Anerkennung im Bereich der reglementierten Berufe. Sie gilt für alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU), des sonstigen Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und der Schweiz sowie für alle Drittstaatsangehörigen, die ihre Qualifikation in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat bzw. der Schweiz erworben haben. Die Anerkennung einer Berufsqualifikation durch die Deutschsprachige Gemeinschaft gewährt ihrem Inhaber den gleichen Zugang zu demselben Beruf unter denselben Voraussetzungen wie Personen, die diese Berufsqualifikation in Belgien erlangt haben.

In der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde die Richtlinie 2005/36/EG vertikal umgesetzt, d.h. für jeden Bereich, in dem die Deutschsprachige Gemeinschaft für die Anerkennung von reglementierten Berufen zuständig ist, so insbesondere im Unterrichtswesen oder im Gesundheitsbereich, wurde eine spezifische Regelung geschaffen. Der Weg der vertikalen statt der horizontalen Umsetzung wurde im Nachgang an das Gutachten des Staatsrats 60.291/4 vom 23. November 2016 eingeschlagen, in dem Folgendes angemerkt wird:

Zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU muss diese Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Föderalbehörde, der Wallonischen Region und der Deutschsprachigen Gemeinschaft berücksichtigt werden. Die Deutschsprachige Gemeinschaft darf also diese Richtlinie 2013/55/EU nicht horizontal umsetzen, da allein die Wallonische Region dazu zuständig geworden ist; in Angelegenheiten, die zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehören, wird sie hingegen „vertikale Umsetzungen“ dieser Richtlinie durchführen müssen.“

Mit der Richtlinie 2018/958 verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel, die Berufsfreiheit zu fördern und die Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen im Rahmen der Richtlinie 2005/36/EG anzugleichen.

So sieht die Richtlinie 2018/958 im Kern vor, dass jegliche Bestimmung, die einen Beruf erstmals reglementiert oder eine bestehende Reglementierung abändert, auf ihre Verhältnismäßigkeit zur angestrebten Zielsetzung überprüft werden muss.

Die Bestimmungen der Richtlinie werden in vorliegendem Dekretentwurf umgesetzt. Im Gegensatz zur Vorgehensweise bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG, soll die Umsetzung der Richtlinie 2018/958 auf horizontale Weise erfolgen.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Keine

4. Gutachten:

  • Das Gutachten des Staatsrats Nr. 67.085/4 vom 15. April 2020 liegt vor.

Der Staatsrat gab am 15. April 2020 sein Gutachten Nr. 67.085/4 zum Dekretvorentwurf ab. In diesem Gutachten machte er auf folgende Umstände aufmerksam:

In der einzigen allgemeinen Bemerkung bemängelte der Staatsrat, dass sich der materielle Anwendungsbereich des Vorentwurfs nur auf die Berufe im Bereich des Unterrichtswesens und die Gesundheitspflegeberufe beschränkte, obwohl die Deutschsprachige Gemeinschaft theoretisch noch in anderen Bereichen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs Berufsreglementierungen vornehmen könnte.

Als Reaktion auf diese Bemerkung wurde Artikel 2 entsprechend angepasst und der Kommentar zu diesem Artikel um die notwendigen Erläuterungen ergänzt.

In seinen besonderen Bemerkungen machte der Staatsrat darauf aufmerksam, dass Artikel 6 Absatz 1 des Vorentwurfs dahingehend irreführend sei, da er zur Folge hätte, dass das Dekret nur anzuwenden sei, wenn die Regierung eine Berufsreglementierung auf den Weg bringt. Das Dekret müsse jedoch auch dann angewendet werden, wenn die Initiative beispielsweise von einem Minister oder einer öffentlichen Einrichtung ausgeht.

Dem ist zu entgegnen, dass Artikel 6 Absatz 1 des Entwurfs lediglich besagt, dass die Regierung die Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen muss und nicht, dass sie das nur für von ihr ausgehende Initiativen tun muss. Dies bedeutet, dass die Regierung auch bei Vorhaben, die beispielsweise von einem Minister oder einer Behörde ausgehen, entsprechend befragt werden muss.

Die Bemerkung zu Artikel 7 bezog sich nur auf die französischsprachige Übersetzung des Entwurfs und muss nicht weiter kommentiert werden.

Artikel 11 wurde schließlich dahingehend ergänzt, dass die Regierung die Verhältnismäßigkeit der neuen Vorschrift im Auge behalten soll.

5. Rechtsgrundlage:

  • Artikel 130 §1 Absatz 1 Nummer 2 und 3 der belgischen Verfassung.
  • Artikel 5 §1 I. Nummer 7 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionenartikel
  • Artikel 4 des Gesetzes vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft