Studie der Uni Mons: Armut, Prekarität und soziale Verwundbarkeit in Ostbelgien

Die Auswirkungen von Armut, Prekarität und sozialer Verwundbarkeit sind vielschichtig. Sie wirken sich auf viele Lebensbereiche der betroffenen Menschen aus und üben Einfluss auf unterschiedlichste Bereiche aus.

AdobeStock_261900953_C_stadtratte

Das Forschungsinstitut CeRis der Universität Mons erhielt den Auftrag, die Armutssituation in der Deutschsprachigen Gemeinschaft wissenschaftlich unter die Lupe nehmen. Gleichzeitig sollte es die Handlungsbedürfnisse identifizieren.

Ende 2014 legte es den ersten Zwischenbericht vor. Im Dezember 2015 erschien der zweite Teil der Studie.

Die Risikofaktoren sind unterschiedlich

Die Ursachen für die Umstände, die in Ostbelgien zu Armut führen, unterscheiden sich im südlichen und nördlichen Kanton:

  • In den Gemeinden Eupen, Kelmis, Lontzen und Raeren führt vor allem Arbeitslosigkeit in die Armut.

  • Im Süden erschwert insbesondere die mangelnde Mobilität die Lebenssituation von Menschen mit niedrigem Einkommen. Wer nicht mobil ist, muss einen Arbeitsplatz in der Nähe finden, wobei die Anzahl der Arbeitsplätze im unmittelbaren Lebensumfeld eingeschränkt sind.

Armut gibt es auch in Ostbelgien

Die Studie belegt, dass auch in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Menschen in Armut leben. Die Autoren der Studie definieren Armut folgendermaßen: „Armut stellt ein Netzwerk von sozialen Ausgrenzungen dar, das sich über mehrere Gebiete des individuellen und kollektiven Lebens erstreckt. Es trennt Arme von den Lebensweisen, die im Allgemeinen von der Gesellschaft anerkannt sind. Diese Kluft können sie nicht aus eigener Kraft überbrücken" (Jan Vranken, Universität Gent 2013).

Wer von Armut betroffen ist, erfährt häufig Ausgrenzung: Geldmangel führt zum Beispiel dazu, dass Menschen ihre Arztbesuche aus finanziellen Gründen aufschieben. Krankheiten verschlimmern sich und können unter Umständen chronisch werden.

In einer wohlhabenden Gegend wie der Deutschsprachigen Gemeinschaft arm zu sein, stellt Betroffene zudem vor eine besondere Herausforderung: Wer sich in seiner Heimat als Einzelfall fühlt, redet kaum über seine Armut oder verschweigt seine persönliche Situation gänzlich. In diesem Fall isoliert Armut umso mehr.

Forscher sprechen Empfehlungen Ostbelgien aus

Die Forscher haben die bereits existierenden Dienste und hiesigen Angebote unter die Lupe genommen und analysiert, wie die Klienten die Dienstleistungen zur Armutsbekämpfung nutzen und wie die Zusammenarbeit zwischen den Diensten funktioniert. Im Kampf gegen die Armut spielt laut Studie die Zusammenarbeit unter den helfenden Organisationen eine elementare Rolle, wenn man effektiv gegen Armut vorgehen möchte. Diese querschnittliche Zusammenarbeit ist allerdings komplex.

Nach einer eingehenden Analyse der unterschiedlichen Armutsfaktoren in unserer Region, empfehlen die Forscher daher folgende Maßnahmen:

Eine Beobachtungsstelle für Armut

Die Beobachtungsstelle soll regelmäßig Statistiken erstellen, damit Armut, Prekarität und soziale Verwundbarkeit in Ostbelgien bezifferbar werden. Die Zahlen sollen helfen, die Armut in Ostbelgien zu erfassen, damit der reelle Bedarf in der Armutsbekämpfung definiert und infolgedessen die Basis gebildet werden kann, um zukünftige Maßnahmen zu beschließen.

Ein interaktives Sozialverzeichnis der Deutschsprachigen Gemeinschaft

Das Sozialverzeichnis soll den Diensten die Möglichkeit geben, Informationen auszutauschen. Die Einrichtungen sollen untereinander die Angebote beziehungsweise Dienstleistungen und Ansprechpartner kennen.

Ein Ressourcenzentrum sozialer Aktion

Eine Kontaktperson oder -stelle soll Wissen zentralisieren beziehungsweise Ansprechpartner verschiedener Dienste vernetzen. Dieses Instrument soll die Nachfrage und das Angebot an Aus- und Weiterbildungen für Menschen, die im Sozialbereich arbeiten, erfassen. Auch sollen sich die Dienste in Bezug auf ihre Arbeitsmethoden gegenseitig bereichern.

Die Ergebnisse der Universität stehen im Downloadbereich in Form der Teilstudien zur Verfügung.

Die Facetten der Armut

 

Zunächst denkt man beim Begriff Armut an Menschen, die über unzureichende finanzielle Mittel verfügen. Offiziell ist man in Belgien einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, wenn ein Haushalt bestehend aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern netto über weniger als 2.274,00 EUR im Monat verfügt (oder eine Einzelperson über weniger als 1.083 EUR). Armut heißt aber auch, wenn Personen nur schwer oder keinen Zugang zu Bildung, Kultur oder Gesundheit haben. Kurzum: Armut hat viele Facetten und nicht nur mit einem niedrigen Einkommen zu tun.