Sitzung vom 7. September 2017

Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA): Antrag des Königreichs Belgien auf ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs

1. Beschlussfassung

Die Regierung genehmigt den Antrag des Königreichs Belgien auf ein Gutachten des  Europäischen Gerichtshofs zum Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen EU – Kanada, CETA.

Der Ministerpräsident wird mit der Durchführung des o.g. Beschlusses beauftragt.

2. Erläuterungen

Das Königreich Belgien erreichte  am 27. Oktober 2016 eine interne Einigung zwischen der Föderalregierung und den Regierungen der betroffenen föderierten Teilgebiete über die Unterzeichnung des Wirtschafts- und  Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA).

Dieses Abkommen enthält eine innerstaatliche einseitige Erklärung zu den Bedingungen für die Unterzeichnung des CETA durch Belgien, in der das Engagement angenommen wurde, den Europäischen Gerichtshof um ein Gutachten über die Vereinbarkeit gewisser Aspekte des CETA mit den europäischen Verträgen, insbesondere im Lichte von Gutachten 2/15, zu ersuchen.

Am 16. Mai 2017 veröffentlichte der EuGH Gutachten 2/15 über das EU-Singapur Freihandelsabkommen. In Gutachten 2/15 ist festgelegt, dass die EU nicht über die ausschließliche Zuständigkeit für die Streitbeilegungsregelung zwischen Investoren und Staaten verfügt. Des Weiteren bestätigte der EuGH, dass Gutachten 2/15 sich nur auf die Zuständigkeitsfrage bezieht und nicht auf die Frage der Vereinbarkeit einer Streitbeilegungsregelung zwischen Investoren und Staaten mit den europäischen Verträgen. 

In dieser Angelegenheit ersucht das Königreich Belgien um ein Gutachten über die Vereinbarkeit von Kapitel 8 („Investitionen”) Abschnitt F („Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten”) CETA mit den europäischen Verträgen, einschließlich der Grundrechte. Es geht um eine neue reformierte Streitbeilegungsregelung zwischen Investoren und Staaten, dem so genannten Investitionsgerichtssystem (ICS), das ein Gericht und ein Berufungsgericht vorsieht.

Konkret ersucht das Königreich Belgien den EuGH um die Erstellung eines Gutachtens über die Vereinbarkeit des ICS mit:

1. der ausschließlichen Zuständigkeit des EuGH, eine endgültige Auslegung des Unionsrechts zu geben

Gemäß Artikel 8.18 Absatz 1 CETA ist das auf der Grundlage des CETA eingesetzte Gericht zuständig für die Überprüfung, ob eine von der Union getroffene Maßnahme eine Verletzung einer Pflicht nach Abschnitt C („diskriminierungsfreie Behandlung“) oder D („Investitionsschutz“) Kapitel 8 CETA darstellt. Bei dieser Beurteilung wird das Gericht eine Auslegung der streitigen Maßnahme vornehmen müssen, wobei eine Auslegung des Unionsrechts erforderlich sein könnte. Artikel 8.31 Absatz 2 CETA sieht vor, dass das Gericht das Unionsrecht “als Tatsache heranziehen” kann und dass das Gericht in einem solchen Fall der herrschenden Auslegung dieses Rechts folgen muss; falls es jedoch keine herrschende Auslegung gibt, lässt sich nicht ausschließen, dass das Gericht selbst das Unionsrecht auslegen muss. 

2. dem Gleichheitsgrundsatz und der Erfordernis der praktischen Wirksamkeit des Unionsrecht

Artikel 8.39 Absatz 2(a) CETA sieht vor, dass im Falle, dass ein kanadischer Investor im Namen eines in der Union gebietsansässigen Unternehmens eine Klage erhebt, der eventuell zuerkannte Schadenersatz an das gebietsansässige Unternehmen gezahlt wird. Das CETA kann also einen Vorteil verschaffen, auf den Investoren der Union, die in der Union Investitionen getätigt haben, sich nicht berufen können. Darüber hinaus fällt es nach Artikel 8.31 Absatz 3 CETA in die Zuständigkeit des Gerichts, die Beschlüsse der Europäischen Kommission oder der nationalen Wettbewerbsbehörden als Tatsachen zu beurteilen, so dass es entscheiden können wird, ob die Geldbuße, obwohl sie dem Unionsrecht entspricht, gegen das CETA verstößt. Aufgrund dessen könnte das Gericht dem Investor oder dem Unternehmen einen Schadenersatz in Höhe der von der Union verhängten Geldbuße zuerkennen, ohne dass die anderen in der Union ansässigen Unternehmen dieselbe Möglichkeit haben.

3. dem Recht auf den Zugang zu Gerichten

Artikel 8.39 Absatz 5 CETA bestimmt, dass die Kosten des Verfahrens grundsätzlich von der unterliegenden Streitpartei zu tragen sind. Es ist nicht vorgesehen, dass der Kläger von der Zahlung der bei der Einrichtung und im Laufe des Verfahrens anfallenden Kosten befreit wird. Diese Kosten könnten jedoch sehr hoch sein. Es stellt sich daher die Frage, ob dies nicht dazu führen kann, dass der Investor daran gehindert wird, eine solche Klage einzureichen. Darüber hinaus ist im Rahmen des CETA keine Rechtsbeistandsregelung für die Finanzierung eines Rechtsanwalts vorgesehen, was das Recht auf den Zugang zu Gerichten beeinträchtigen könnte.

4. dem Recht auf eine unabhängige und unparteiische Rechtsprechung

In Bezug auf das Recht auf eine unabhängige und unparteiische Rechtsprechung ersucht das Königreich Belgien um ein Gutachten über die folgenden Aspekte:

  • die Bedingungen für die Vergütungen der Mitglieder des Gerichts und des Berufungsgerichts, gemäß Artikel 8.27, Absatz 12 bis 15, und Artikel 26.1 CETA, sind dem Ermessen der Exekutive, nämlich des Gemischten CETA-Ausschusses, und nicht der Legislative überlassen. Diese Artikel des CETA sehen vor, dass bis zum Beschluss des Gemischten CETA-Ausschusses, den Richtern ein reguläres Gehalt zu zahlen, die Vergütung teilweise von der Anzahl der eingereichten Klagen abhängen wird, also von den von den Richtern erbrachten Leistungen. 

  • Die Mitglieder des Gerichts und des Berufungsgerichts werden gemäß Artikel 8.27, Absatz 2 und 3; Artikel 8.28, Absatz 3 und 7(c) und Artikel 26.1 Absatz 1 CETA von der Exekutive ernannt, nämlich dem Gemischten Ausschuss, ohne dass dieser Beschluss auf Empfehlung eines Organs, das ausschließlich oder vorwiegend aus Richtern zusammengesetzt ist, gebilligt werden muss.

  • Die Mitglieder des Gerichts und des Berufungsgerichts können gemäß Artikel 8.30 Absatz 4 und Artikel 8.28 Absatz 4 CETA von der Exekutive, nämlich dem Gemischten Ausschuss, vom Gericht ausgeschlossen werden, ohne dass eine Berufung gegen den Ausschlussbeschluss möglich ist.

  • Die Mitglieder des Gerichts und des Berufungsgerichts müssen sich gemäß Artikel 8.30 Absatz 1 und Artikel 8.28 Absatz 4 CETA erstens nach den Leitlinien der International Bar Association zu Interessenkonflikten in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit richten, die für Schiedsrichter, nicht für Richter, erstellt wurden und die nicht vom Gericht und dem Berufungsgericht angenommen worden sind. Zweitens sieht Artikel 8.44 Absatz 2 CETA vor, dass die Exekutive, einen Verhaltenskodex für die Mitglieder des Gerichts und des Berufungsgerichts ohne Beteiligung dieser beiden Rechtsinstanzen einführt.

  • Die Mitglieder des Gerichts und des Berufungsgerichts müssen gemäß Artikel 8.30 Absatz 1 und Artikel 8.28 Absatz 4 CETA ihre anderweitigen beruflichen Tätigkeiten in Bezug auf Investitionsstreitigkeiten nicht mitteilen oder zur Billigung vorlegen.

Ziel des Antrags auf Gutachten des Königreichs Belgien ist die weitere Verdeutlichung des Rechtsrahmens des CETA im Einklang mit den Vereinbarungen, die in Bezug auf die Unterzeichnung des CETA durch Belgien getroffen worden sind. Das Königreich Belgien nimmt dabei keinen Standpunkt zu den an den EuGH gestellten Fragen ein.

Das Königreich Belgien ist sich dessen bewusst, dass gewisse Aspekte des CETA, die weiter erarbeitet werden müssen, insbesondere das ICS, noch auf der Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission vom Rat der Europäischen Union beschlossen werden müssen. Diese weitere Erarbeitung kann den rechtlichen Rahmen, zu dem der EuGH mit diesem Antrag auf Gutachten um eine Entscheidung ersucht wird, noch weiter beeinflussen.

Das Königreich Belgien ist sich auch dessen bewusst, dass das ICS ein erster Schritt auf dem Weg zur Einsetzung eines multilateralen Investitionsgerichts ist, das letztendlich der zuständige Gerichtshof für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten sein wird.

Die Bestimmungen des CETA, die Gegenstand des belgischen Antrags auf Gutachten an den EuGH sind, sind von der vorläufigen Anwendung des Vertrags ausgeschlossen. Jene Bestimmungen treten erst dann in Kraft, wenn alle Mitgliedstaaten das CETA gemäß ihren jeweiligen verfassungsmäßigen Vorschriften ratifiziert haben.

3. Finanzielle Auswirkungen

Der vorliegende Regierungsbeschluss hat keine finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt der Deutschsprachigen Gemeinschaft.

4. Gutachten

Ein Gutachten des Finanzinspektors ist nicht erforderlich.

5. Rechtsgrundlagen

Es liegen keine Rechtsgrundlagen vor.