Sitzung vom 20. Dezember 2018

Entwurf eines Dekrets zur Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in dritter und letzter Lesung den Entwurf des Dekrets zur Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache.

Die Vize-Ministerpräsidentin, Ministerin für Kultur, Beschäftigung und Tourismus und der Minister für Familie, Gesundheit und Soziales werden mit der Übermittlung des Entwurfes an das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft beauftragt.

2. Erläuterungen:

Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie dessen Fakultativprotokoll, denen das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft am 11. Mai 2009 per Dekret zugestimmt hat, gewisse Pflichten eingegangen, zu deren Erfüllung vorliegendes Dekret beitragen soll.

Vier Artikel dieses Übereinkommens – Artikel 2, 21, 24 und 30 – beziehen sich u.a. spezifisch auf die Gebärdensprache. So fordert Artikel 21 des Übereinkommens die Vertragsstaaten dazu auf, die Gebärdensprache anzuerkennen, um eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Gebärdensprache spielt eine wichtige Rolle in der barrierefreien Kommunikation von und mit hörbeeinträchtigten Menschen. Durch den Gebrauch dieser Sprache können gehörlose oder stark schwerhörige Menschen verstärkt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sich selbst verwirklichen und somit ihr Leben selbstbestimmt gestalten.

Die Verfassung sieht in ihren Artikeln 127 §2 Absatz 1 Nummer 1 und 130 §1 Absatz 1 Nummer 1 vor, dass die Gemeinschaften die kulturellen Angelegenheiten durch Dekret regeln. Ebenso sieht Artikel 4 Nummer 1 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, auf den Artikel 4 §1 des Gesetzes vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft verweist, vor, dass der Schutz und die Veranschaulichung der Sprache zu den kulturellen Angelegenheiten der Gemeinschaften gehören. Sprache ist demnach ein Teil der kulturellen Identität einer Bevölkerung. In diesem Sinne haben die Französische und die Flämische Gemeinschaft die Gebärdensprache in der Vergangenheit bereits durch entsprechende Dekrete vom 22. Oktober 2003 bzw. 5. Mai 2006 offiziell anerkannt.

In seinem Gutachten Nr. 59.863/3 vom 26. September 2016 zu einem Dekretvorentwurf, der zum Dekret vom 13. Dezember 2016 zur Schaffung einer Dienststelle der Deutschsprachigen Gemeinschaft für selbstbestimmtes Leben geworden ist, hat der Staatsrat darauf hingewiesen, dass es nicht in den Zuständigkeitsbereich der Deutschsprachigen Gemeinschaft, sondern allein in den des Föderalstaats fällt, den Sprachgebrauch in Verwaltungsangelegenheiten im deutschen Sprachgebiet zu regeln. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Dekretvorentwurf die Deutsche Gebärdensprache nicht als Verwaltungssprache, sondern als Kultursprache anerkennt.

Die Gebärdensprache ist die Sprache, die die Kultur der Hörgeschädigten ausmacht. Sie ist die Muttersprache von gehörlosen und stark schwerhörigen Menschen, wohingegen Laut- und Schriftsprache schwer erlernbare Fremdsprachen für sie darstellen. In der Gebärdensprache können sie sich am besten und natürlichsten ausdrücken, so wie dies intuitiv für jeden Menschen in seiner Muttersprache der Fall ist. Sie trägt deshalb auch bei gehörlosen Kindern zur Identitätsentwicklung und -stärkung bei. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Vermittlung dieser Sprache zu fördern und ihr ihre Rolle in unserer Gesellschaft einzuräumen.

Des Weiteren sieht die Verfassung in ihrem Artikel 11 vor, dass das Gesetz und das Dekret insbesondere die Rechte und Freiheiten der ideologischen und philosophischen Minderheiten gewährleisten. Zu diesen Minderheiten kann sicherlich auch die Gruppe der Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, die sich der Gebärdensprache bedienen, gezählt werden.

Die Anerkennung der Gebärdensprache wirkt sich in der Praxis auf sämtliche Zuständigkeitsbereiche der Deutschsprachigen Gemeinschaft aus:

  • die Anerkennung und Ausbildung von Gebärdendolmetschern,

  • das Unterrichtswesen,

  • die Kleinkindbetreuung,

  • den kulturellen Bereich (beispielsweise in Bezug auf Fernsehübertragungen),

  • dem Beschäftigungsbereich,

  • den sozialen Bereich,

  • die öffentliche Verwaltung.

Der Verwaltungsrat der Dienststelle für selbstbestimmtes Leben hat in seiner Sitzung vom 24. August 2018 den Dekretvorentwurf begutachtet. Der Verwaltungsrat äußert sich durchweg positiv zu dem Vorentwurf. Die Anerkennung sei ein wichtiger Schritt, um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung zu gewährleisten aber weitere Schritte müssen folgen.  

Der Staatsrat stellte am 6. November 2018 sein Gutachten Nr. 64.345/3 zum Dekretvorentwurf aus.

In einem ersten Schritt stellte er fest, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft dafür zuständig ist, die Gebärdensprache als Kultursprache anzuerkennen.

Bezüglich Artikel 2 Absatz 1 Nr. 1 des Vorentwurfs bemerkte er, dass bei der Vergabe von Beihilfen auf die Einhaltung des Gesetzes vom 16. Juli 1973 zur Gewährleistung des Schutzes der ideologischen und weltanschaulichen Strömungen (besser bekannt als „Kulturpakt“) zu achten ist. Da vorliegender Dekretentwurf keine Abweichung von diesem Gesetz begründen soll, werden die Vorgaben dieses Gesetzes Anwendung finden.

Bezüglich Artikel 2 Absatz 1 Nr. 2 des Vorentwurfs bemerkte er, dass die Delegation an die Regierung zwecks Festlegung von Ausführungsbestimmungen, um den Nutzern der Deutschen Gebärdensprache eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, zu breit gefasst sei und präzisiert werden müsse. Infolgedessen wurde Nummer 2 dahingehend ergänzt, dass die Regierung die Entwicklung von Lehrmitteln zum Erlernen der Gebärdensprache fördert. Durch die neue Nummer 3 wurde präzisiert, dass die Regierung eine Kontaktstelle in der Deutschsprachigen Gemeinschaft bestimmt, wo Betroffene Informationen zur Unterstützungsmaßnahmen erhalten können.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Keine

4. Gutachten:

Das Gutachten der Juristen des Fachbereichs Lokale Behörden und Kanzlei vom 4. Juli 2018 liegt vor.

Das Gutachten des Finanzinspektors vom 11. Juli 2018 liegt vor.

Das Einverständnis des Ministerpräsidenten, zuständig für den Haushalt, vom 16. Juli 2018 liegt vor.

Das Gutachten des Verwaltungsrates der Dienststelle für selbstbestimmtes Leben vom 24. August 2018 liegt vor.

Das Gutachten des Staatsrates Nr. 64.345/3 vom 6. November 2018 liegt vor.

5. Rechtsgrundlage:

Artikel 127 §2 Absatz 1 Nummer 1 und 130 §1 Absatz 1 Nummer 1 der belgischen Verfassung.

Artikel 4 Nummer 1 des Sonderdekrets vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen

Artikel 4 des Gesetzes vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft