Sitzung vom 23. Mai 2019

Absichtserklärung der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft über die Unterstützung der Aktivitäten des AGORA-Theaters im Rahmen des Jubiläums „100 Jahre Ostbelgien“

1. Beschlussfassung:

Die Regierung beabsichtigt die Aktivitäten des AGORA-Theaters im Rahmen des Jubiläums „100 Jahre Ostbelgien“ finanziell und durch gemeinsame Werbemaßnahmen sowie durch gemeinsame Veranstaltungen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und Frankreich zu unterstützen.

Der Ministerpräsident wird mit der Durchführung des vorliegenden Beschlusses beauftragt.

2. Erläuterungen:

1. Hintergrund

Im Jahr 2020 feiert die Deutschsprachige Gemeinschaft das 100-jährige Jubiläum der Zugehörigkeit zu Belgien. Für das AGORA-Theater ist es ebenfalls ein besonderes Jahr, in das gleich drei Jubiläen fallen: das 30. Internationale TheaterFest, 40 Jahre AGORA und die 50. Inszenierung des Theaters mit der Produktion „Die drei Leben der Antigone“ aus der Feder von Slavoj Žižek.

Als deutschsprachiges Theater hat AGORA zum Erhalt und zur Erneuerung der deutschsprachigen Kultur in Ostbelgien beigetragen. Durch seine Arbeit hat das AGORA-Theater wesentlichen Anteil daran, dass die Menschen in der eigenen Heimatregion, aber auch die Zuschauer aus den anderen Teilen Belgiens und in ganz Europa mit einer Vorstellung kultureller Identität in Berührung kamen, die nicht auf Ausgrenzung von oder Abgrenzung beruht. 

AGORA und die Deutschsprachige Gemeinschaft stehen in Belgien und Europa für die Möglichkeit einer Kultur der Zwischen-Sprachlichkeit jenseits identitärer Verhärtungen. In einem Europa der wachsenden Differenzen verstehen sie sich als kultureller und politischer Vertreter des Grundsatzes „Einheit in Vielfalt“ und sind beide, in ihrer unwahrscheinlichen Existenz, ein bemerkenswertes Beispiel, dass die Stärkung der - in diesem Fall deutschsprachigen - Kultur keinen Widerspruch beschwören muss, der sich gegen andere kulturelle Identitäten richten würde.

Eine Kooperation der Deutschsprachigen Gemeinschaft und AGORA im Rahmen des Jubiläumsjahres 2020 ist daher also nicht nur wünschenswert, sondern naheliegend und sinnvoll. Zentrales Projekt wird hierbei die Inszenierung „Zink“ auf Grundlage des Buches von David van Reybrouck sein.

2. „ZINK“ – Auftragsproduktion der Deutschsprachigen Gemeinschaft an das AGORA-Theater

Seit 1816 war Moresnet als Gebiet ‚neutral’, lange bevor dieser hauptsächlich deutschsprachige Landstrich Teil des heutigen Königreichs Belgiens wurde. In dieser Zeit, bis zum Ende 1. Weltkrieges, war dieser kleine Fleck ein hotbed für politische, kulturelle und individuelle Innovation.

David Van Reybrouck hat die Geschichte des ‚neutralen‘ Moresnet in seinem Buch „Zink“ aufgegriffen. Hier können wir z.B. von Emil Rixen lesen. Er wurde als Neutraler geboren. Zeit seines Lebens erlebte er sich als überall verwurzelt - und doch heimatlos.

Als Emil Rixen 1971 stirbt, wird er die Staatsangehörigkeit fünfmal gewechselt haben. Als David von Reybrouck bei einem Besuch der AGORA in St.Vith von einer Nachfahrin Emil Rixens von dieser Geschichte erfuhr, verstand er, dass er hier das kleine Spiegelbild der Geschichte des belgischen Königreiches vor Augen geführt bekam. Hier begegnete er im deutschsprachigen Teil des heutigen Belgiens einer Wurzel des potentiellen liberalen Standpunktes und der subversiven Affirmation der Vielfalt, welche die Deutschsprachige Gemeinschaft bis heute in ihren besten Momenten auszeichnet.

Hier zeigen sich, wie in einem Kaleidoskop, alle Elemente, die die Geschichte der Deutschsprachigen Gemeinschaft, ausmachen. Die stetige Bemühung, kulturell zu verankern, dass die eigene Identität niemanden zwingt, das eine oder das andere zu sein. Die eigene Identität zu leben, die eigene Lebensweise wert zu schätzen, und dafür eine sprachliche und kulturelle Ausdrucksform zu suchen, müssen keine Vorstellungen sein, die sich auf den Ausschluss und die Ausgrenzung Anderer stützen. Mit den individuellen Geschichten, die weit in die familiären Stammbäume vieler ostbelgischer Familien reichen, wie mit den geopolitischen Thematiken, eignet sich daher „Zink“ von David Van Reybrouck ganz hervorragend, die kulturelle Offenheit, die europäische Orientierung und die Bewahrung deutscher Kultursprachlichkeit in der Deutschsprachigen Gemeinschaft zu bezeugen. Gerade an dieser Geschichte lässt sich zeigen, dass es sich bei der Pflege der deutschsprachigen Kultur nicht um einen separatistischen Impuls handelt, sondern um die Bewahrung und Ermöglichung von Vielfalt – und um die subversive Kraft europäischer Traditionen.

Das AGORA-Theater ist sehr gut situiert, um diese Geschichte künstlerisch und politisch zu reflektieren. Nicht nur, da das Buch „Zink“ selbst durch Gespräche auf einem TheaterFest der AGORA inspiriert wurde. Sondern auch, weil das AGORA-Theater sich selbst zum Programm gemacht hat, die einzigartige Situation Ostbelgiens, der Politik der Deutschsprachigen Gemeinschaft und der Möglichkeit der Koexistenz von Identitätsbewahrung und europäischer und internationaler Öffnung ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit zu stellen.

Eine Premiere ist im September oder Oktober 2020 denkbar. Zum Beispiel mit einer Vorpremiere in St.Vith und der eigentlichen Premiere in Brüssel.

3. Weitere Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen der Jubiläen

Premiere von „Die drei Leben der Antigone“

Im Januar 2020 feiert mit „Die drei Leben der Antigone“ die 50. AGORA-Inszenierung Premiere. Das Theater hat sich die Erstaufführungsrechte der deutschen Fassung am Theater für Belgien und Deutschland gesichert. Die belgische Premiere findet vom 16.-18. Januar im Triangel in St.Vith statt, die deutsche Premiere vom 21.-25. Januar beim Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf. In diesem Rahmen könnte z.B. eine Auftakt-Initiative der Kooperation zwischen Deutschsprachiger Gemeinschaft und AGORA im Jubiläumsjahr 2020 stattfinden.

„Die drei Leben der Antigone“ von Slavoj Žižek ist nach „Animal Farm – Theater im Menschenpark“ die zweite Arbeit von Felix Ensslin mit dem AGORA-Theater. Der Philosoph und Autor Žižek hat in diesem Stück die Tradition der Tragödie mit dem Brecht’schen Ansatz, der die Tragödie aufgrund der Darstellung der Unverrückbarkeit des Schicksals als reaktionär zu entlarven trachtet, vermittelt. Žižek wählt dafür ein drittes Element, dass er zwischen diese beiden Möglichkeiten einfügt: die Methode der „alternative endings“. Kontingenz ist das Muttermal der Moderne. Kontingenz heißt: Was geschieht oder geschehen ist, könnte auch anders geschehen, hätte anders geschehen sein können. Die Unveränderlichkeit des Schicksals, unserer Gebundenheit an Geschichte und Identität, wird konfrontiert mit der Möglichkeit, dass es eben auch anders ausgehen könnte – oder hätte ausgehen können.

Spots in den drei Regionen Belgiens sowie in Deutschland, Frankreich & Luxemburg

Während des Jubiläumsjahres 2020 wird das AGORA-Theater in einzelnen, ausgewählten Theatern, Kulturzentren oder Festivals in den drei Regionen Belgiens mehrtägige Präsenzen organisieren. Im Fokus stehen die aktuellen Produktionen (sowie ab Herbst 2020 „Zink“), von denen eine oder mehrere gezeigt würden. Diese Aufführungen werden begleitet von jeweils dem Spielort angepassten weiterführenden Veranstaltungen wie Ausstellungen, Workshops, Podiumsdiskussionen, Präsentation des im Frühjahr 2020 erscheinenden Buches (siehe unten) oder ähnlichen Formaten.

Die Grundidee dieser „Spots“ ist, den Austausch zwischen den Regionen Belgiens im Kontext der oben beschriebenen Möglichkeit, die Interkulturalität und des damit verbundenen potenziellen Modellcharakters für ein gemeinsames Europa zu ermöglichen bzw. zu fördern.

Kolloquium rund um die Herausgabe des neuen Buches :

„Europa, Identität, Sprache: 40 Jahre AGORA“ mit Texten und Gedichten von Marcel Cremer

Im März 2020 erscheint dieses Buch, welches in Koproduktion mit dem Verlag „Theater der Zeit“ produziert wird. Herausgeber sind das AGORA-Theater und  Christel Hoffmann. Rund um den Erscheinungstermin des Buches am 31. März 2020 wird ein Kolloquium organisiert zu den Themen, die das Buch aufgreift und bietet.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Da die vorliegende Note nur die Absicht der Kooperation zum Ziel hat, fallen zum jetzigen Zeitpunkt keine Kosten. Die Höhe der finanziellen Unterstützung wird in einem Kooperationsvertrag festgehalten.

4. Gutachten:

keine

5. Rechtsgrundlage:

keine